Der Irrglaube des Empfehlungsmarketing

André Brömmel, 11. Mai 2014
Auf den Punkt:

Empfehlen entstehen nicht (nur) durch Übererfüllung von Erwartungen. Es geht darum, eine Bühne zu bieten.

Wissen Sie, ob Ihr Unternehmen regelmäßig weiterempfohlen wird? Von wem? Und wie? Und warum? Nein, Sie wissen es nicht? Macht nichts. Sofern Sie nicht Geschäftsführer, Vertriebs- oder Marketingleiter eines Unternehmens sind, können Sie nachts weiterhin beruhigt schlafen. Andernfalls sollten diese Fragen Sie wachrütteln und dazu animieren, sich damit intensiver zu beschäftigen. Denn nach heutigem Kenntnisstand wird das Thema Empfehlungsmarketing einen großen Teil des Marketings der Zukunft ausmachen. Dazu erfahren Sie in diesem Artikel, was sich hinter diesem – gelegentlich als „Wunderwaffe“ bezeichneten – Begriff verbirgt.

Empfehlungsmarketing ist keine Marketingdisziplin im herkömmlichen Sinne, sondern Ausdruck einer Haltung der Zielgruppe gegenüber einem Produkt oder einer Dienstleistung.

„Wer nicht wirbt, stirbt!“ Erwarten Sie nicht von mir, dass ich Ihnen blamable Statements wie diese präsentiere und die Richtigkeit dieser Aussage einrede, um die eigene Daseinsberechtigung (als Werbeagentur) zu rechtfertigen. Unternehmer, und mit ihnen Geschäftsführer, Vertriebs- und Marketingleiter, finden sich heute nicht selten in Märkten und Wettbewerbsumfeldern wieder, in denen das bloße Überleben schon Grund zum Feiern ist. Zu denken, der Umkehrschluss „Wer wirbt, überlebt.“ sei logische Konsequenz, sei hiermit ernüchtert. Ständig sich verändernde Situationen in den Märkten, begleitet von Innovationen und neuen rechtlichen Voraussetzungen, neue Wettbewerber mit neuen Angeboten, Veränderungen innerhalb der Zielgruppen, wachsende Digitalisierung stellen uns alle vor die Wahl: do or die.

Die Gemengelage an vielen Märkten ist diffus, schwer durchschau- und noch schwerer berechenbar – Grund genug, sich nicht dem Irrglauben hinzugeben, Werbung allein garantiere den Unternehmenserfolg. Marketer von heute müssen sich mit einer Vielzahl von Themen beschäftigen, immer auf der Suche nach den neuesten, aktuellsten oder für die Zielgruppe besten Möglichkeiten der Antizipation. Die Liste dieser Möglichkeiten ist lang und wird ständig länger. Gelegentlich erscheint Marketing so kompliziert und unübersichtlich, wie die über 90.000 Steuerverordnungen unseres Landes, bei deren Unüberschaubarkeit selbst Steuerberater zugeben müssen, nicht mehr durchzublicken. Zugegeben, im Marketing sind wir noch nicht ganz so weit. Aber: Marketing ist ein Dschungel geworden. Doch keiner, aus dem es nicht auch einen Ausweg gäbe.

 

Jeder macht, was er will, keiner macht, was er soll – aber alle machen mit.

 

Word of mouth marketing, the word of mouth, Mundpropaganda, multilevel marketing (MLM) bis hin zur Laienwerbung – Empfehlungsmarketing hat viele Namen. Letzteres allerdings würdigt die Rolle des Empfehlungsgebers und dessen Einfluss meines Erachtens nach so sehr herab, dass ich diesen Begriff im Folgenden nicht weiter verwenden möchte. Alles andere ist generell richtig, umschreibt aber nur das, warum es eigentlich geht: Entscheidungen sicher machen.

Eine sichere Entscheidung treffen können.

Sicher entscheiden klingt wenig revolutionär. Doch Achtung: Auch wenn das kein neuer Begriff des Marketings ist mit so illustrem Namen wie Social Media, Internet of Things (IoT) oder Content Marketing ist es genau das, was einer Empfehlung vorausgeht.

Merke: Je größer der Einfluss einer Entscheidung, umso sicherer will diese abgesichert sein.

Beispiel Autokauf: Wer heute ein Auto kauft, investiert im Durchschnitt knapp 27.000 Euro (DAT Report 2013) und damit das Nettoeinkommen eines Durchschnittsdeutschen. Nichts, für das man sich im Vorbeigehen entscheidet. Man könnte meinen, der Einfluss einer Empfehlung stiege proportional mit der Höhe der Investition. Das ist aber nicht richtig. Ebenso wichtig sind mögliche Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen.

Beispiel Essen gehen: Erinnern Sie sich an den ersten gemeinsamen Kinoabend mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin, zu dem Sie eingeladen hatten? In welchem Kino waren Sie? In welchem Film? Warum in genau diesem Film? Warum in diesem Kino? Wie viel Mühe haben Sie sich gegeben, damit dieser Abend perfekt wird? Wen haben Sie um Rat gefragt hinsichtlich des Films nach dem Motto, „Ist der Film wirklich gut?“ Die finanziellen Auswirkungen einer solchen Fehlentscheidung wären die Mühen der Vorbereitungen kaum wert. Vielleicht verlöre man 20 Euro für 2 Kinokarten. Was verlöre man sonst noch? Vielleicht die zukünftige Ehefrau. Denn am Anfang von Beziehungen zeigen wir uns gern von der besten Seite und versuchen, ein perfektes Umfeld zu schaffen, um unseren Liebsten/unsere Liebste von uns zu überzeugen. Dazu kann selbst ein vermeintlich banaler Kinobesuch zählen – geht der eklatant daneben, wird das Gewinnen der Gunst der Angebeteten sicherlich nicht leichter.

Merke: Nicht die finanzielle Auswirkung allein ist entscheidend, sondern die Größe der subjektiven Auswirkungen einer Fehlentscheidung. Je größer diese sind, umso intensiver wird die Entscheidung hinterfragt. Und umso wichtiger werden Empfehlungsgeber.

Aktiv oder passiv. Und dabei konstruktiv oder destruktiv.

Das Wesen von Empfehlungen zu verstehen, bedarf keiner Wissenschaft. Vordergründig jedenfalls. Denn wir unterscheiden generell nur zwei „Rollen“ von Menschen: die aktive und passive. Diesen beiden Rollen werden jeweils zwei Ausprägungen zugeordnet: konstruktiv oder destruktiv. Somit entstehen insgesamt 4 Typen von Empfehlungsgebern (s. Schaubild unten). Einen Nicht-Empfehler schließen wir in neuerer Zeit aus, denn es scheint unrealistisch oder nicht wirtschaftlich, in der westlichen Welt jemanden zu finden, der überhaupt keine Meinung hat beziehungsweise keine Meinung nach außen vertritt. Für diese These sprechen unter anderem die neuen Medien und die Einfachheit der Verbreitung von Meinungen. Empfehlungen herbeizuführen bedarf bestimmter Maßnahmen und Verhaltensweisen, die ein breites Wissen nötig machen, so zum Beispiel über den klassischen Marketingmix mit Schwerpunkt Distribution und Promotion (darin auch Spezialthemen wie Neuro-Marketing bis hin zum Web 3.0-Marketing).

Die Klaviatur der Maßnahmen zur Erreichung aktiver Empfehlungen ist dabei enorm lang und beginnt nicht bei einer bestimmten Disziplin, sondern ist die orchestrale Komposition strategischer Markenführung, Verkaufsförderung, Verkaufsgespräch, Direktmarketing, integrierter Markenkommunikation, Public Relations, Schulungen und Fortbildungen, Website und so weiter. Hintergrund dieser Ganzheitlichkeit ist, dass wir „nicht nicht kommunizieren können.“ Das heißt: Jede Form der Kommunikation hat Einfluss auf Zielgruppen und schlägt sich mittel- und unmittelbar auf die Qualität von Empfehlungen nieder.

Eine sichere Entscheidung ist die, die tausende andere vor mir schon getroffen haben.

Falsch ist: Wer begeistert, wird empfohlen.

In circa 90% der Literatur, die ich gelesen habe, wird von der Übererfüllung der Kundenerwartung gesprochen. Konkret: Die Kundenerwartung zu erfüllen, ist das Mindeste. Schafft das Unternehmen das, empfiehlt aber noch längst kein Kunde aktiv weiter. Erst die Kundenerwartung zu übertreffen, so die einhellige Meinung, sorgt dafür, dass der Kunde das Unternehmen aktiv weiterempfiehlt. Das klingt vielleicht nachvollziehbar und logisch, greift aber psychologisch meiner Meinung nach zu kurz. Kauft jemand 10 Orangen, darf der Verkäufer als Zugabe nicht eine elfte Orange geben. Die Literatur empfiehlt, eine Banane dazu zu geben, denn diese ist anders und wird bewusst als Zugabe wahrgenommen. Das klingt nachvollziehbar. Aber das bewegt noch lange keine aktive Empfehlung. Zugaben oder Rabatte eignen sich durchaus für Empfehlungen, müssen aber dosiert eingesetzt werden, wenn das Unternehmen dadurch nicht wirtschaftlichen Schaden nehmen will. Fakt ist aber: Die reine Übererfüllung der Kundenerwartung reicht für eine aktive Empfehlung längst nicht aus.

Andere Märkte, andere Einflussfaktoren

Stellen Sie sich vor, Sie sind Zuckerwattenverkäufer auf einer Kirmes in einer kleinen Stadt, in die Sie 1x jährlich kommen. Die These: Sie können tun, was sie wollen, die Einwohner und Besucher der Stadt sind nur 3 Tage lang Ihre Zielgruppe. 3 Tage reichen in der Regel nicht aus, sich einen schlechten oder guten Ruf zu erarbeiten. Insofern ist jeder Kunde, im übertragenen Sinne, auch schon der letzte.

Denken Sie beim Thema Marketing in Form einer Fragestellung: Was würde es für Ihr Geschäft bedeuten, wenn nicht Sie, sondern Ihre Zielgruppe für Ihr Angebot würbe?

Die Macht der aktiv Destruktiven

Statistisch erwiesen ist, dass sich die schlechte Nachricht 13x häufiger verbreitet, als die gute. Warum das so ist, mag viele Gründe haben, ist für das Empfehlungsmarketing allerdings irrelevant. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass ein einziger aktiv Destruktiver die „Arbeit“ von 13 aktiv Konstruktiven aufheben kann. Bei dieser Rechnung lassen wir außen vor, dass auch der Empfänger diese schlechte Meinung wiederum deutlich häufiger verbreitet als die gute Meinung. Geht man davon aus, dass sich die Multiplikation von Person zu Person halbiert und jede Person jeden Tag 1 Person beeinflusst, haben Sie nach 7 Tagen (also einer Woche) folgendes Ergebnis: 127 Personen haben von der positiven Erlebnis mit Ihnen/Ihrem Produkt/Ihrer Dienstleistung erfahren. Hingegen haben im gleichen Zeitraum knapp 3.600 Personen von dem negativen Erlebnis erfahren. Zugegeben, eine kleine Milchmädchenrechnung, in der viele Dinge nicht berücksichtigt werden. Man muss allerdings davon ausgehen, dass die Tendenz richtig ist.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Handwerker in einem 10.000-Seelen-Dorf und haben einen Kunden richtig gegen sich aufgebracht. Es wird nicht zwangsläufig Ihre Existenz bedrohen, aber es könnte sich dramatisch negativ auf Ihren Umsatz auswirken. Nun stellen Sie sich vor, Sie hatten einen schlechten Monat und haben 10 unzufriedene Kunden in die Welt entlassen … dann haben Sie ein existenzielles Problem.

Was würden Sie antworten auf die Frage „Kennen Sie eine Druckerei?“ Streng genommen müssten Sie sagen „Ja, sogar mehrere.“ Was würden Sie auf folgende Frage erwidern: „Welche Druckerei können Sie mir empfehlen?“ Vermutlich würden Sie nun etwas länger nachdenken, kämen aber zu dem Schluss „Ich kann Ihnen zwei ans Herz legen.“ Ist das Empfehlungsmarketing? Nein. Wir kennzeichnen diese Personen als passiv konstruktiv (s. Schaubild). Erst auf Nachfrage wird eine Empfehlung gegeben. Sicherlich ist das wertvoll, aber kaum hilfreich, um eine Vielzahl neuer Kunden zu gewinnen. Sofern sich diese Person aber wenigstens positiv über Sie äußert, ist das auch schon eine Menge wert. Schlecht für Sie, wenn es sich um einen passiv destruktiven Empfehlungsgeber handelt. Er nennt auf Nachfrage nicht nur jemanden, den er empfehlen kann, sondern auch den, den er nicht empfehlen würde. Für Ihr Geschäft allerdings katastrophal sind die aktiv destruktiven Empfehlungsgeber. Sie warten gar nicht erst, bis sie gefragt werden. Stattdessen erzählen diese überall, wie unzufrieden sie mit einer Leistung oder einem Produkt sind. Auch diese Personen sind Empfehlungsgeber. Allerdings die schlimmsten, die ein Unternehmen haben kann. Sie kosten Geschäft und sind nur schwer wieder „einzufangen.“ Was Geschäft befördert sind die aktiv konstruktiven Empfehlungsgeber. Sie geben ungefragt Empfehlungen an Bekannte weiter. Und die klingen dann zum Beispiel so: „Wenn du einmal richtig gut essen gehen möchtest, solltest du zu genau diesem Restaurant gehen …„ oder „Wenn du dieses Auto kaufen möchtest, kaufe das unbedingt bei genau diesem Händler, weil …„

Stopp! Warum machen sich konstruktive und destruktive Empfehlungsgeber eigentlich die Mühe, darüber zu sprechen? Was ist deren Motivation?

Ich habe mich unter anderem mit Dr. Christian Burk dazu mehrfach auseinander gesetzt. Dr. Christian Burk lehrt am Institut für Psychologie an der RWTH Aachen und hat sich eingehend mit folgender These beschäftigt:

Der Grund, warum Menschen empfehlen ist, dass Ihnen zum Zeitpunkt der Empfehlung jeder zuhört. Oder anders: eine Empfehlung (konstruktiv oder destruktiv) hebt sie auf ein Podest.

Punktmacher nennt dieses Phänomen „onstage-effect„

Erste Beobachtungen zeigen, dass aktive Empfehlungsgeber nicht nur extrovertierte, sondern auch introvertierte Personen sind. Sie nutzen die seltenen Chancen, mit Wissen zu glänzen und im Mittelpunkt zu stehen. Die gängige Literatur zum Empfehlungsmarketing sagt aus, dass nur extrovertierte Persönlichkeiten zum aktiven Empfehlungsgeber werden können. Doch der „onstage-effect“ gibt introvertierten Persönlichkeiten a) ein Thema und b) die Fakten und damit c) die Gelegenheit, für kurze Zeit im Rampenlicht zu stehen. Generell muss klar sein, dass es um nichts anderes geht als um:

Ich weiß etwas, was du nicht weißt.

Das ist im Kern die Hauptmotivation, sich positiv oder negativ über etwas zu äußern. Insofern sind sowohl introvertierte wie auch extrovertierte Personen interessant für das Empfehlungsmarketing. Wissenschaftlich nicht bewiesen, aber durchaus interessant ist, da so mancher Extrovertierte mitunter auch als weniger glaubwürdig gilt, weil er sich sehr schnell für etwas (oder alles) begeistern kann. Darunter leidet dann die Qualität der Empfehlung. Bestenfalls macht er das aber mit seiner Überzeugung wieder wett. Dennoch: Dieser Umstand kann den Einfluss des introvertierten Menschen verstärken, der einen „heißen Tipp„ hat.

Erfolgreich vorgemacht hat das Harrys – ein 2013 gegründetes Unternehmen von zwei jungen Geschäftsmännern, die bereits 100.000 E-Mail-Adressen einsammelten – bevor auch nur eine Website da war. Wie das geht wird hier beschrieben. Im Kern benennen die beiden das, was meiner Meinung nach künftig immer wichtiger wird: du weißt etwas, das sonst noch niemand weiß.


„Bei der Kampagnengestaltung verwendet Harry’s beispielsweise viel Sorgfalt darauf, den Teilnehmern mit Text und Bild den Eindruck zu vermitteln, dass sie an etwas besonderem teilnehmen. Auf der Anmeldeseite werden die Besucher mit dem Text „Sei der erste, der Bescheid weiß„, in einem Feld unter einem Schlüsselsymbol ihre E-Mail-Adresse zu hinterlassen – zum Abschicken müssen sie auf ein Feld mit der Aufschrift „Tritt ein„ klicken. Die Folgeseite ist fast noch enigmatischer: Das Bild eines Mammuts ist mit dem Text „Die Rasur entwickelt sich weiter. Lass Deine Freunde nicht zurück„ versehen. „Wir wollten, dass die Leute das Gefühl hatten, dass etwas großes geschieht und sie dabei nicht nur einen Platz in der ersten Reihe hatten, sondern auch die Gelegenheit, ihre Freunde einzuladen„, schreibt Raider.“ (Quelle: http://www.onlinemarketingrockstars.de/noch-keine-website-aber-schon-mal-100000-e-mail-adressen-eingesammelt-die-launch-story-von-harrys/)


Was bedeutet das konkret?

Sollten sich diese ersten Erkenntnisse und Thesen als haltbar herausstellen, wäre das für das Phänomen Empfehlungsmarketing eine Revolution. Es würde die unzählige Literatur zu diesem Thema auf den Kopf stellen und mehrheitlich als falsch offenbaren und endlich Einblick und Aufschluss darüber geben, was Unternehmen tun können, erfolgreich Empfehlungsmarketing zu betreiben und unter anderem folgende Dinge zu beachten:

  1. stärker introvertierte Menschen ansprechen

Geheimnisse preisgeben im Sinne von „Du weißt jetzt etwas, was noch niemand weiß.“
Communities gründen, zu denen nur einige wenige Zugang haben (closed shop)

Wissen Sie, ob Ihr Unternehmen regelmäßig weiterempfohlen wird? Von wem? Und wie? Und warum? Nein, Sie wissen es nicht? Macht nichts. Sofern Sie nicht Geschäftsführer, Vertriebs- oder Marketingleiter eines Unternehmens sind, können Sie nachts weiterhin beruhigt schlafen. Andernfalls sollten diese Fragen Sie wachrütteln und dazu animieren, sich damit intensiver zu beschäftigen. Denn nach heutigem Kenntnisstand wird das Thema Empfehlungsmarketing einen großen Teil des Marketings der Zukunft ausmachen. Dazu erfahren Sie in diesem Artikel, was sich hinter diesem – gelegentlich als „Wunderwaffe“ bezeichneten – Begriff verbirgt.

Empfehlungsmarketing ist keine Marketingdisziplin im herkömmlichen Sinne, sondern Ausdruck einer Haltung der Zielgruppe gegenüber einem Produkt oder einer Dienstleistung.

„Wer nicht wirbt, stirbt!“ Erwarten Sie nicht von mir, dass ich Ihnen blamable Statements wie diese präsentiere und die Richtigkeit dieser Aussage einrede, um die eigene Daseinsberechtigung (als Werbeagentur) zu rechtfertigen. Unternehmer, und  mit ihnen Geschäftsführer, Vertriebs- und Marketingleiter, finden sich heute nicht selten in Märkten und Wettbewerbsumfeldern wieder, in denen das bloße Überleben schon Grund zum Feiern ist. Zu denken, der Umkehrschluss „Wer wirbt, überlebt.“ sei logische Konsequenz, sei hiermit ernüchtert. Ständig sich verändernde Situationen in den Märkten, begleitet von Innovationen und neuen rechtlichen Voraussetzungen, neue Wettbewerber mit neuen Angeboten, Veränderungen innerhalb der Zielgruppen, wachsende Digitalisierung stellen uns alle vor die Wahl: do or die. Die Gemengelage an vielen Märkten ist diffus, schwer durchschau- und noch schwerer berechenbar – Grund genug, sich nicht dem Irrglauben hinzugeben, Werbung allein garantiere den Unternehmenserfolg. Marketer von heute müssen sich mit einer Vielzahl von Themen beschäftigen, immer auf der Suche nach den neuesten, aktuellsten oder für die Zielgruppe besten Möglichkeiten der Antizipation. Die Liste dieser Möglichkeiten ist lang und wird ständig länger. Gelegentlich erscheint Marketing so kompliziert und unübersichtlich, wie die über 90.000 Steuerverordnungen unseres Landes, bei deren Unüberschaubarkeit selbst Steuerberater zugeben müssen, nicht mehr durchzublicken. Zugegeben, im Marketing sind wir noch nicht ganz so weit. Aber: Marketing ist ein Dschungel geworden. Doch keiner, aus dem es nicht auch einen Ausweg gäbe.

 

Experte in Sachen Empfehlungsmarketing ist André Brömmel.

Jeder macht, was er will, keiner macht, was er soll – aber alle machen mit.

 

Word of mouth marketing, the word of mouth, Mundpropaganda, multilevel marketing (MLM) bis hin zur Laienwerbung – Empfehlungsmarketing hat viele Namen. Letzteres allerdings würdigt die Rolle des Empfehlungsgebers und dessen Einfluss meines Erachtens nach so sehr herab, dass ich diesen Begriff im Folgenden nicht weiter verwenden möchte. Alles andere ist generell richtig, umschreibt aber nur das, warum es eigentlich geht: Entscheidungen sicher machen.

Eine sichere Entscheidung treffen können.

Sicher entscheiden klingt wenig revolutionär. Doch Achtung: Auch wenn das kein neuer Begriff des Marketings ist mit so illustrem Namen wie Social Media, Internet of Things (IoT) oder Content Marketing ist es genau das, was einer Empfehlung vorausgeht.

Merke: Je größer der Einfluss einer Entscheidung, umso sicherer will diese abgesichert sein.

Beispiel Autokauf: Wer heute ein Auto kauft, investiert im Durchschnitt knapp 27.000 Euro (DAT Report 2013) und damit das Nettoeinkommen eines Durchschnittsdeutschen. Nichts, für das man sich im Vorbeigehen entscheidet. Man könnte meinen, der Einfluss einer Empfehlung stiege proportional mit der Höhe der Investition. Das ist aber nicht richtig. Ebenso wichtig sind mögliche Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen.

Beispiel Essen gehen: Erinnern Sie sich an den ersten gemeinsamen Kinoabend mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin, zu dem Sie eingeladen hatten? In welchem Kino waren Sie? In welchem Film? Warum in genau diesem Film? Warum in diesem Kino? Wie viel Mühe haben Sie sich gegeben, damit dieser Abend perfekt wird? Wen haben Sie um Rat gefragt hinsichtlich des Films nach dem Motto, „Ist der Film wirklich gut?“ Die finanziellen Auswirkungen einer solchen Fehlentscheidung wären die Mühen der Vorbereitungen kaum wert. Vielleicht verlöre man 20 Euro für 2 Kinokarten. Was verlöre man sonst noch? Vielleicht die zukünftige Ehefrau. Denn am Anfang von Beziehungen zeigen wir uns gern von der besten Seite und versuchen, ein perfektes Umfeld zu schaffen, um unseren Liebsten/unsere Liebste von uns zu überzeugen. Dazu kann selbst ein vermeintlich banaler Kinobesuch zählen – geht der eklatant daneben, wird das Gewinnen der Gunst der Angebeteten sicherlich nicht leichter.

Merke: Nicht die finanzielle Auswirkung allein ist entscheidend, sondern die Größe der subjektiven Auswirkungen einer Fehlentscheidung. Je größer diese sind, umso intensiver wird die Entscheidung hinterfragt. Und umso wichtiger werden Empfehlungsgeber.

Aktiv oder passiv. Und dabei konstruktiv oder destruktiv.

Das Wesen von Empfehlungen zu verstehen, bedarf keiner Wissenschaft. Vordergründig jedenfalls. Denn wir unterscheiden generell nur zwei „Rollen“ von Menschen: die aktive und passive. Diesen beiden Rollen werden jeweils zwei Ausprägungen zugeordnet: konstruktiv oder destruktiv. Somit entstehen insgesamt 4 Typen von Empfehlungsgebern (s. Schaubild unten). Einen Nicht-Empfehler schließen wir in neuerer Zeit aus, denn es scheint unrealistisch oder nicht wirtschaftlich, in der westlichen Welt jemanden zu finden, der überhaupt keine Meinung hat beziehungsweise keine Meinung nach außen vertritt. Für diese These sprechen unter anderem die neuen Medien und die Einfachheit der Verbreitung von Meinungen. Empfehlungen herbeizuführen bedarf bestimmter Maßnahmen und Verhaltensweisen, die ein breites Wissen nötig machen, so zum Beispiel über den klassischen Marketingmix mit Schwerpunkt Distribution und Promotion (darin auch Spezialthemen wie Neuro-Marketing bis hin zum Web 3.0-Marketing). Die Klaviatur der Maßnahmen zur Erreichung aktiver Empfehlungen ist dabei enorm lang und beginnt nicht bei einer bestimmten Disziplin, sondern ist die orchestrale Komposition strategischer Markenführung, Verkaufsförderung, Verkaufsgespräch, Direktmarketing, integrierter Markenkommunikation, Public Relations, Schulungen und Fortbildungen, Website und so weiter. Hintergrund dieser Ganzheitlichkeit ist, dass wir „nicht nicht kommunizieren können.“ Das heißt: Jede Form der Kommunikation hat Einfluss auf Zielgruppen und schlägt sich mittel- und unmittelbar auf die Qualität von Empfehlungen nieder.

Eine sichere Entscheidung ist die, die tausende andere vor mir schon getroffen haben.

Falsch ist: Wer begeistert, wird empfohlen.

In circa 90% der Literatur, die ich gelesen habe, wird von der Übererfüllung der Kundenerwartung gesprochen. Konkret: Die Kundenerwartung zu erfüllen, ist das Mindeste. Schafft das Unternehmen das, empfiehlt aber noch längst kein Kunde aktiv weiter. Erst die Kundenerwartung zu übertreffen, so die einhellige Meinung, sorgt dafür, dass der Kunde das Unternehmen aktiv weiterempfiehlt. Das klingt vielleicht nachvollziehbar und logisch, greift aber psychologisch meiner Meinung nach zu kurz. Kauft jemand 10 Orangen, darf der Verkäufer als Zugabe nicht eine elfte Orange geben. Die Literatur empfiehlt, eine Banane dazu zu geben, denn diese ist anders und wird bewusst als Zugabe wahrgenommen. Das klingt nachvollziehbar. Aber das bewegt noch lange keine aktive Empfehlung. Zugaben oder Rabatte eignen sich durchaus für Empfehlungen, müssen aber dosiert eingesetzt werden, wenn das Unternehmen dadurch nicht wirtschaftlichen Schaden nehmen will. Fakt ist aber: Die reine Übererfüllung der Kundenerwartung reicht für eine aktive Empfehlung längst nicht aus.

Andere Märkte, andere Einflussfaktoren

Stellen Sie sich vor, Sie sind Zuckerwattenverkäufer auf einer Kirmes in einer kleinen Stadt, in die Sie 1x jährlich kommen. Die These: Sie können tun, was sie wollen, die Einwohner und Besucher der Stadt sind nur 3 Tage lang Ihre Zielgruppe. 3 Tage reichen in der Regel nicht aus, sich einen schlechten oder guten Ruf zu erarbeiten. Insofern ist jeder Kunde, im übertragenen Sinne, auch schon der letzte.

Denken Sie beim Thema Marketing in Form einer Fragestellung: Was würde es für Ihr Geschäft bedeuten, wenn nicht Sie, sondern Ihre Zielgruppe für Ihr Angebot würbe?

Die Macht der aktiv Destruktiven

Statistisch erwiesen ist, dass sich die schlechte Nachricht 13x häufiger verbreitet, als die gute. Warum das so ist, mag viele Gründe haben, ist für das Empfehlungsmarketing allerdings irrelevant. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass ein einziger aktiv Destruktiver die „Arbeit“ von 13 aktiv Konstruktiven aufheben kann. Bei dieser Rechnung lassen wir außen vor, dass auch der Empfänger diese schlechte Meinung wiederum deutlich häufiger verbreitet als die gute Meinung. Geht man davon aus, dass sich die Multiplikation von Person zu Person halbiert und jede Person jeden Tag 1 Person beeinflusst, haben Sie nach 7 Tagen (also einer Woche) folgendes Ergebnis: 127 Personen haben von der positiven Erlebnis mit Ihnen/Ihrem Produkt/Ihrer Dienstleistung erfahren. Hingegen haben im gleichen Zeitraum knapp 3.600 Personen von dem negativen Erlebnis erfahren. Zugegeben, eine kleine Milchmädchenrechnung, in der viele Dinge nicht berücksichtigt werden. Man muss allerdings davon ausgehen, dass die Tendenz richtig ist.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Handwerker in einem 10.000-Seelen-Dorf und haben einen Kunden richtig gegen sich aufgebracht. Es wird nicht zwangsläufig Ihre Existenz bedrohen, aber es könnte sich dramatisch negativ auf Ihren Umsatz auswirken. Nun stellen Sie sich vor, Sie hatten einen schlechten Monat und haben 10 unzufriedene Kunden in die Welt entlassen … dann haben Sie ein existenzielles Problem.

Was würden Sie antworten auf die Frage „Kennen Sie eine Druckerei?“ Streng genommen müssten Sie sagen „Ja, sogar mehrere.“ Was würden Sie auf folgende Frage erwidern: „Welche Druckerei können Sie mir empfehlen?“ Vermutlich würden Sie nun etwas länger nachdenken, kämen aber zu dem Schluss „Ich kann Ihnen zwei ans Herz legen.“ Ist das Empfehlungsmarketing? Nein. Wir kennzeichnen diese Personen als passiv konstruktiv (s. Schaubild). Erst auf Nachfrage wird eine Empfehlung gegeben. Sicherlich ist das wertvoll, aber kaum hilfreich, um eine Vielzahl neuer Kunden zu gewinnen. Sofern sich diese Person aber wenigstens positiv über Sie äußert, ist das auch schon eine Menge wert. Schlecht für Sie, wenn es sich um einen passiv destruktiven Empfehlungsgeber handelt. Er nennt auf Nachfrage nicht nur jemanden, den er empfehlen kann, sondern auch den, den er nicht empfehlen würde. Für Ihr Geschäft allerdings katastrophal sind die aktiv destruktiven Empfehlungsgeber. Sie warten gar nicht erst, bis sie gefragt werden. Stattdessen erzählen diese überall, wie unzufrieden sie mit einer Leistung oder einem Produkt sind. Auch diese Personen sind Empfehlungsgeber. Allerdings die schlimmsten, die ein Unternehmen haben kann. Sie kosten Geschäft und sind nur schwer wieder „einzufangen.“ Was Geschäft befördert sind die aktiv konstruktiven Empfehlungsgeber. Sie geben ungefragt Empfehlungen an Bekannte weiter. Und die klingen dann zum Beispiel so: „Wenn du einmal richtig gut essen gehen möchtest, solltest du zu genau diesem Restaurant gehen …„ oder „Wenn du dieses Auto kaufen möchtest, kaufe das unbedingt bei genau diesem Händler, weil …„

Stopp! Warum machen sich konstruktive und destruktive Empfehlungsgeber eigentlich die Mühe, darüber zu sprechen? Was ist deren Motivation?

Ich habe mich unter anderem mit Dr. Christian Burk dazu mehrfach auseinander gesetzt. Dr. Christian Burk lehrt am Institut für Psychologie an der RWTH Aachen und hat sich eingehend mit folgender These beschäftigt:

Der Grund, warum Menschen empfehlen ist, dass Ihnen zum Zeitpunkt der Empfehlung jeder zuhört. Oder anders: eine Empfehlung (konstruktiv oder destruktiv) hebt sie auf ein Podest.

Punktmacher nennt dieses Phänomen „onstage-effect„

Erste Beobachtungen zeigen, dass aktive Empfehlungsgeber nicht nur extrovertierte, sondern auch introvertierte Personen sind. Sie nutzen die seltenen Chancen, mit Wissen zu glänzen und im Mittelpunkt zu stehen. Die gängige Literatur zum Empfehlungsmarketing sagt aus, dass nur extrovertierte Persönlichkeiten zum aktiven Empfehlungsgeber werden können. Doch der „onstage-effect“ gibt introvertierten Persönlichkeiten a) ein Thema und b) die Fakten und damit c) die Gelegenheit, für kurze Zeit im Rampenlicht zu stehen. Generell muss klar sein, dass es um nichts anderes geht als um:

Ich weiß etwas, was du nicht weißt.

Das ist im Kern die Hauptmotivation, sich positiv oder negativ über etwas zu äußern. Insofern sind sowohl introvertierte wie auch extrovertierte Personen interessant für das Empfehlungsmarketing. Wissenschaftlich nicht bewiesen, aber durchaus interessant ist, da so mancher Extrovertierte mitunter auch als weniger glaubwürdig gilt, weil er sich sehr schnell für etwas (oder alles) begeistern kann. Darunter leidet dann die Qualität der Empfehlung. Bestenfalls macht er das aber mit seiner Überzeugung wieder wett. Dennoch: Dieser Umstand kann den Einfluss des introvertierten Menschen verstärken, der einen „heißen Tipp„ hat.

Erfolgreich vorgemacht hat das Harrys – ein 2013 gegründetes Unternehmen von zwei jungen Geschäftsmännern, die bereits 100.000 E-Mail-Adressen einsammelten – bevor auch nur eine Website da war. Wie das geht wird hier beschrieben. Im Kern benennen die beiden das, was meiner Meinung nach künftig immer wichtiger wird: du weißt etwas, das sonst noch niemand weiß.


„Bei der Kampagnengestaltung verwendet Harry’s beispielsweise viel Sorgfalt darauf, den Teilnehmern mit Text und Bild den Eindruck zu vermitteln, dass sie an etwas besonderem teilnehmen. Auf der Anmeldeseite werden die Besucher mit dem Text „Sei der erste, der Bescheid weiß„, in einem Feld unter einem Schlüsselsymbol ihre E-Mail-Adresse zu hinterlassen – zum Abschicken müssen sie auf ein Feld mit der Aufschrift „Tritt ein„ klicken. Die Folgeseite ist fast noch enigmatischer: Das Bild eines Mammuts ist mit dem Text „Die Rasur entwickelt sich weiter. Lass Deine Freunde nicht zurück„ versehen. „Wir wollten, dass die Leute das Gefühl hatten, dass etwas großes geschieht und sie dabei nicht nur einen Platz in der ersten Reihe hatten, sondern auch die Gelegenheit, ihre Freunde einzuladen„, schreibt Raider.“ (Quelle: http://www.onlinemarketingrockstars.de/noch-keine-website-aber-schon-mal-100000-e-mail-adressen-eingesammelt-die-launch-story-von-harrys/)


Was bedeutet das konkret?

Sollten sich diese ersten Erkenntnisse und Thesen als haltbar herausstellen, wäre das für das Phänomen Empfehlungsmarketing eine Revolution. Es würde die unzählige Literatur zu diesem Thema auf den Kopf stellen und mehrheitlich als falsch offenbaren und endlich Einblick und Aufschluss darüber geben, was Unternehmen tun können, erfolgreich Empfehlungsmarketing zu betreiben und unter anderem folgende Dinge zu beachten:

  1. stärker introvertierte Menschen ansprechen
  2. Geheimnisse preisgeben im Sinne von „Du weißt jetzt etwas, was noch niemand weiß.“
  3. Communities gründen, zu denen nur einige wenige Zugang haben (closed shop)
  4. Storytelling betreiben, denn diese Geschichten sind erzählenswert

Ich beschäftige mich seit 2004 intensiv mit dem Thema der Empfehlungen. Wir arbeiten daran, die oben genannten Thesen zu verifizieren und dem Phänomen Empfehlungsmarketing auf den Grund zu gehen. Bleiben Sie dran. Wir tun es auch. Punkt. Storytelling betreiben, denn diese Geschichten sind erzählenswertIch beschäftige mich seit 2004 intensiv mit dem Thema der Empfehlungen. Wir arbeiten daran, die oben genannten Thesen zu verifizieren und dem Phänomen Empfehlungsmarketing auf den Grund zu gehen. Bleiben Sie dran. Wir tun es auch. Punkt.

André Brömmel, 11. Mai 2014
Auf den Punkt:

Empfehlen entstehen nicht (nur) durch Übererfüllung von Erwartungen. Es geht darum, eine Bühne zu bieten.